Die Yamas - Eine Übung für mehr Frieden

In den Yogasutras von Patanjali wird ein achtgliedriger Yogaweg beschrieben. Dieser Weg beschäftigt sich zunächst mit Verhaltensrichtlinien, in denen sich der Yogi üben sollte, damit das Ziel des Yoga (d.h. die Beruhigung des Geistes und die Erfahrung des wahren Selbst) fließender erreichbar ist. 

Wahrscheinlich wird jeder Yogi und jede Yogini, die sich ernsthaft mit dem Yogaweg beschäftigt oft bemerken, dass es nicht so einfach ist alle Yamas tatsächlich immer zu beherzigen. Vielleicht hast Du auch die Erfahrung gemacht, dass sie nach und nach immer wieder teilweise oder gänzlich in Vergessenheit geraten.

Als Yoga Praktizierender und auch Yoga lehrende Person halte ich die Yamas nicht nur für das Erreichen des Yogaziels für wichtig, sondern auch um sich gemeinsam um ein langfristig friedvolles Miteinander (Menschen, Tiere und Pflanzen) zu bemühen. Im folgenden möchte ich deshalb die 5 Yamas von Patanjali in der Formulierung einer Achtsamkeitsübung nach dem Vorbild des Zen-Buddhismus von Thích Nhất Hạnh hier zur Verfügung stellen. Du kannst diese Formulierung (unter Angabe der ursprünglichen Quelle) gern weiterverwenden.

Ich hoffe, dass so diese Verhaltensweisen ein Stück mehr in die Welt getragen werden:

1.   Ahimsa

In dem Bewusstsein, dass sowohl in mir als auch in der Welt Gewalt und Gewaltbereitschaft Leid vermehrt, übe ich mich in Friedfertigkeit gegenüber allen Wesen. Ich bin entschlossen das Leben von Menschen, Tieren, Pflanzen und unserer Erde zu schützen.

Ich akzeptiere, dass es auch in mir ein Gewaltpotential gibt und übe mich darin eigene Gewalttendenzen möglichst früh zu erkennen. Es ist mir bewusst, dass sowohl Lästern und Auslachen, sexuelle Anzüglichkeiten, hitzige Debatten und dominantes Redeverhalten, Beleidigungen sowie abweisende Blicke und Gesten, Formen der Gewalt sind und übe mich in aktivem Zuhören und gewaltfreier Kommunikation.

In dem Wissen, dass auch andauernde Selbstkritik und Perfektionismus sowie Selbstverleugnung oder Egomanie Formen der Gewalt gegen meine eigene Persönlichkeit sind, bin ich entschlossen diese zu erkennen, zu vermeiden und mich in Sanftmut und Mitgefühl zu üben.

अहिंसाप्रतिष्ठायं तत्सन्निधौ वैरत्याघः

Ahimsâ-pratishthâyâam tat-samnidhau vaira-tyâgah

„Wenn der Yogin Ahimsa perfektioniert hat, werden alle Lebewesen in seiner Gegenwart aufhören feindselig zu sein.“ 

(Yogasutras Kapitel 2, Vers 35)

2.   Satya

Ich bin entschlossen meine eigenen Stärken und Schwächen zu akzeptieren und im Rahmen meiner Möglichkeiten stetig an ihnen zu arbeiten. In dem Bewusstsein der leidhaften Konsequenzen von Unaufrichtigkeit und Unehrlichkeit, übe ich mich in einem authentischen und stimmigen Lebenswandel.

Auch in unangenehmen Situationen übe ich mich ehrlich zu sein, weder zu lügen noch aus Angst vor Konsequenzen zu schweigen oder mich bei Konfrontationen herauszureden. Ich vermeide falsche Beschuldigungen und vertusche nicht meine eigenen Fehler. Ich akzeptiere, wenn es verschiedene Standpunkte gibt, übe mich in höflicher und angemessener Kommunikation sowie der Verlässlichkeit meiner eigenen Worte.

Ich gehe offen mit eigenen Schwächen um, akzeptiere diese und übe mich in Integrität.

सत्यप्रतिष्ठायां क्रियाफलाश्रयत्वम्

Satyapratiṣṭhāyāṁ kriyāphalāśrayatvam

„Wenn Satya vollständig perfektioniert wurde, erlangen die Worte [des Yogin] die Kraft immer einzutreffen.“

(Yogasutras Kapitel 2, Vers 36)

3.  Asteya

In dem Wissen, dass schädliche Handlungen aus Gier und Neid entstehen, vermeide ich den (vermeintlichen) Wert meines Besitzes oder meiner Handlungen mit jenen von anderen zu vergleichen. Ich bin mir bewusst, dass mein Selbstwert nicht von meinem Besitz abhängt und übe mich in Dankbarkeit.

Ich erkenne das Bestreben Anderer an, für ihr eigenes und das Wohl Anderer zu sorgen und übe mich, ihre Leistungen wertzuschätzen. Ich bin mir bewusst, dass das Ergebnis meiner Bestrebungen von mehr Faktoren abhängt als meinem eigenen Handeln und übe mich in Gleichmut unabhängig von Gewinn oder Verlust.

Weder nehme ich ungefragt etwas, was mir nicht gehört, noch gehe ich verschwenderisch oder missbräuchlich mit Gütern und Ressourcen um. Leihgaben sowie Gemeingüter behandle ich mit großer Sorgfalt. In dem Bewusstsein, dass die Ressourcen unseres Planeten begrenzt sind, übe ich mich in genügsamen Konsum, angemessenem Energieverbrauch und der Kultivierung von Bescheidenheit und Zurückhaltung.

अस्तेयप्रतिष्ठायां सर्वरत्नोपस्थानम्

Asteya-pratishthâyâm sarva-ratnopasthânam

„Wenn Asteya perfektioniert wurde, kommen [die wahren] Reichtümer als Geschenk von selbst.“ (Yogasutras Kapitel 2, Vers 37)

4.  Brahmacharya

Ich akzeptiere meine eigenen sexuellen Triebe, Bedürfnisse und Wünsche und begreife Sexualität als natürliche und wertvolle Kraft. Ich übe mich die Beziehungen zu anderen Menschen als spirituelle Praxis zu begreifen, in der jede Kommunikation Spiegel und Lernaufgabe ist und das Gegenüber als Ausdruck göttlicher Kraft verstanden werden kann.

Ich vermeide sexuelle Belästigung in jedweder Form sowie entwertenden (pornografischen) Darstellungen. Ich übe mich in einem offenen Austausch über Sexualität innerhalb meiner Beziehung sowie einer achtsamen Kommunikation im Allgemeinen.

In dem Bewusstsein, dass Sexualität die Antriebskraft vieler Handlungen ist, vermeide ich jegliches sexuelles Fehlverhalten sowie jegliche Form sexuellen Missbrauchs. Sexuelle Handlungen führe ich einvernehmlich und in bewusster Offenheit aus und bin mir bewusst, dass andere Lebewesen niemals mein Besitz sind.

ब्रह्मचर्यप्रतिष्ठायां वीर्यलाभः

brahmacarya pratiṣṭhāyāṁ vīrya-lābhaḥ

„Wenn Brahmacharya perfektioniert wurde, entwickelt sich [große, innere] Stärke.“ 

(Yogasutras Kapitel 2, Vers 38)

5.  Aparigraha

In dem Bewusstsein, dass Habgier und Geiz zu leidhaftem Handeln führen, übe ich mich darin, zwischen Nützlichem und Luxus zu unterscheiden und mich nicht durch meinen Besitz zu definieren. Ich bin entschlossen Suchtverhalten aufzugeben und nicht zu prahlen oder anzugeben.

Mir ist bewusst, dass wahre Ruhe im Geiste nicht entsteht, wenn mein Streben auf materielle Besitztümer ausgerichtet ist und vermeide so weit wie möglich eine unangemessene Bevorratung von Kleidung, Luxusgütern und Geld. Stattdessen übe ich mich in Genügsamkeit und Bescheidenheit sowie der Kultivierung eines einfachen Lebensumfeldes.

अपरिग्रहस्थैर्ये जन्मकथंतासंबोधः

Aparigrahasthairye janmakathantāsambodhaḥ

„Durch die Perfektionierung von Aparigraha erwächst das Wissen über vergangene und zukünftige Existenzen [d.i. das eigene Karma].“

(Yogasutras Kapitel 2, Vers 39)